Tokyo und Osaka by Bike

Von:

Radfahren im Land der gesellschaftlichen Harmonie und des strikten Parkraummanagements

Japan ist sehenswert und mittlerweile ein beliebtes Urlaubsziel. Insbesondere die Städtetour Tokyo — Kyoto — Osaka steht bei vielen Touristen – so auch bei uns – auf dem Zettel. Und wie erkundet man Städte am besten? Zu Fuß oder mit dem Rad. Doppelt spannend, weil diese Städte für vieles bekannt sind, jedoch nicht als Fahrradhauptstädte. In Tokyo und Osaka gibt es aber ein sehr vielfältiges Angebot an geführten, thematischen Radtouren bei denen man außer viel Wissenswertem über die Stadt- und Landesgeschichte auch nebenbei einiges über die lokale Stadt- und Verkehrsplanung lernt.

23 Kilometer Rundkurs Tokyo — 6 Kilometer Foodie Tour in Osaka

Unsere Tour war die Edo-Tokyo-Culture Tour, die uns über Haupt- und Nebenstraßen, Radwege, durch Parks und auch an großen Durchzugsstraßen entlang geführt hat. Vorbei an großartigen Sehenswürdigkeiten wie der Ryogoku Sumohalle, dem Senso-ji Tempel, Ueno Park und dem Kaiserpark. In Osaka hatten wir die Foodie-Tour, die entsprechend kürzer war und abseits der größeren Straßen stattfand. In Kyoto und Hiroshima haben wir den Radverkehr nur als Fußgänger*innen beobachtet.

Beobachtungen zum Radverkehr

Radwege: Es gibt kaum baulich getrennte Radwege. Der typische Radweg ist ein farbig markierter Mehrzweckstreifen, auf dem auch gerne gehalten wird oder Lieferfahrzeuge parken. Ausweichen ist grundsätzlich gut über die PKW-Fahrstreifen oder auf den Gehsteig möglich.

Gehsteige sind auch Radwege: In Japan dürfen Radfahrer*innen auch Gehwege benutzen und machen das auch fleißig. Teilweise gibt es auf breiteren Gehsteigen Markierungen oder unterschiedlich farbige Pflasterung. Im Alltag ist das aber völlig irrelevant, da sämtliche Radfahrer*innen auf dem Radweg vorsichtig und zurückhaltend fahren und alle Fußgänger*innen sich auch nicht gestört fühlen.

Transporträder: Es gibt ein sehr spezielles E-Bike-Modell, das wirklich überall zu sehen ist. Das Panasonic Gyutto. Speziell auf die Erfordernisse der Care-Arbeit abgestimmt, damit Kinder, Einkäufe und sonstiges bequem transportiert werden können, ohne ein Auto zu benötigen oder alles durch die relativ gut ausgelasteten öffentlichen Verkehrsmittel schleppen zu müssen. Preislich liegt es je nach Ausstattung bei ca. 1.100–1.500 €. Wird aber auch von HandwerkerInnen gerne genutzt.

Panasonic Gyutto

Dooring gibt es nicht: In Japan ist Parken eine streng geregelte Angelegenheit. Daher gibt es so gut wie keine Parkplätze entlang der Straßen. Nebenstraßen sind meistens so eng, dass man nicht parken kann, ohne alle zu behindern. Daher war das Fahren auf Nebenstraßen so angenehm.

Bemerkenswert ist, dass es bei keiner Tour zu einer einzigen auch nur annähernd gefährlichen Situation gekommen ist. Ich würde das zwei Faktoren zuschreiben. Erstens der extrem rücksichtsvollen japanischen Gesellschaft. Es wird nicht gehupt, nicht geklingelt und allgemein sehr vorsichtig und vorausschauend gefahren. Wir haben keine Autos mit Dellen oder Kratzern gesehen, keine Unfälle beobachtet oder Verkehrsteilnehmer*innen, die andere beschimpfen oder anpatzen. Zweitens sind wenige Autos unterwegs und es gibt kaum Parkplätze entlang der Straßen. Das führt zu weniger Konfliktsituationen und macht das Fahren einfacher.

“Alle-Gehen-Kreuzungen”

Ein kleines Extra noch vom Fußverkehr. Nicht nur die bekannte Riesenkreuzung in Shibuya, sondern wirklich viele Kreuzungen in Tokyo und anderen Städten erlauben das diagonale Queren von Fußgänger*innen. Dafür werden einfach alle MIV-Relationen gleichzeitig auf Rot gestellt und alle Fußgängerquerungen plus die beiden Diagonalen haben Grün. Sieht nicht nur beeindruckend aus, funktioniert auch super!

Shibuya-Kreuzung

Ein kleiner Exkurs zum Parken

In Tokyo waren auffällig wenige Parkplätze am Straßenrand zu finden. Jeder Parkplatz hatte eine Parkuhr daneben, mit einer Höchstparkdauer von einer Stunde. Zudem gab es zwischen den Hochhäusern immer wieder Parkhäuser von unterschiedlichster Größe, Oberflächenparkplätze zum Mieten oder Parkgaragen als Tiefgaragen. Ebenso in Kyoto und Osaka. Das hat mich dann neugierig gemacht und ich habe etwas dazu recherchiert.

Kein Stellplatznachweis — kein Auto

In Japan gibt es auf nationaler Ebene ein Gesetz, das für die Zulassung eines Fahrzeugs unbedingt den Nachweis eines ausreichend großen Stellplatzes verlangt. Der kann auf eigenem Grund liegen oder auch in einem dieser Parkhäuser gemietet werden. Anscheinend gibt es dieses Gesetz schon seit den 1960er Jahren.

Ergänzt wird es durch ein anderes Gesetz, das Parken am Straßenrand grundsätzlich verbietet und nur Ausnahmen zulässt (also genau andersherum als in der meisten restlichen Welt). Vermutlich ist der Grund, dass die typischerweise sehr engen Nebenstraßen und Wohnstraßen einfach zu schmal sind für nennenswerten Autoverkehr und parkende Fahrzeuge nur zusätzlich für Engstellen sorgen würden.

Der Effekt auf die Städte und den Verkehr allgemein sowie den Fuß- und Radverkehr sind offensichtlich: öffentlicher Raum ist Raum für Mobilität, nicht stationärer Aufenthaltsraum für Autos. Es wird nach meinem subjektiven Empfinden auch weniger in der Stadt gefahren — irgendwie logisch, wenn kaum Parkplätze offen sind. Die Mobilität läuft daher überwiegend über öffentlichen Verkehr oder aktive Mobilität.

Was kann man davon für Wien oder andere Europäische Städte mitnehmen?

Die Verlagerung des Parkens vom öffentlichen Gut auf private Flächen trägt wesentlich zu einer anderen Nutzung des öffentlichen Raumes bei: Flächen für Fugänger*innen, Radfahren oder Begrünung. Man kann sehr gut sehen, dass es dadurch weder zu Wohlstandseinbußen, Abnahme der Mobilität oder zum Abbau der Automobilindustrie kommt (Toyota ist immer noch größter Automobilhersteller der Welt). Es befördert auch einen anderen Umgang der Verkehrsteilnehmer*innen untereinander, da dem Automobil die optische Dominanz genommen wird. Leider wird es in Europa am politischen Mut fehlen, eine solche Politik durchzusetzen.

Rad- und Fußverkehr auf Gehwegen zu mischen halte ich persönlich eher für eine Notlösung. In Wien hätten wir Bürgerkrieg, falls das erlaubt wäre. In Japan funktioniert es aufgrund des anderen gesellschaftlichen Umgangs, insbesondere der Faktor des gegenseitigen Respekts spielt hier eine große Rolle. Replizierbar ist das sicher nur mit viel Mühe und einem gewaltigen kulturellen Wandel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Latest Articles