Sozialer Zusammenhalt ist ein Dauerbrenner in der öffentlichen Debatte, doch die gesellschaftliche Realität wird dabei kaum beachtet. Gerade Kommunen können im produktiven Umgang mit der vielfältigen Vielfalt eine Schlüsselrolle spielen.Wann immer ein Skandal oder eine Gewalttat die Gesellschaft erschüttert, werden unweigerlich die Stimmen laut, dass man den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken müsse. Das ist richtig, doch die Frage ist weniger, ob das notwendig ist, sondern wie das gelingen kann. Dazu muss vorweg die gesellschaftliche Struktur genauer untersucht und verstanden werden.
Eine sich vervielfältigende Vielfalt
Die Gesellschaft differenziert sich aus, aber nicht entlang einer Dimension, wie etwa der Migrationsgeschichte oder religiösen Zugehörigkeit, sondern anhand ganz unterschiedlicher Merkmale, die sich dazu auch noch verschränken. Wie Menschen arbeiten, wie sie zusammenleben, an was sie glauben, wie sie ihre Freizeit verbringen oder was sie konsumieren – überall ist Diversität zu beobachten. Die Vielfalt vervielfältigt sich sozusagen, so dass in der Forschung von „Superdiversität“ oder gar von „Hyperdiversität“ gesprochen wird. Das macht die ganze Sache recht unübersichtlich. Konnte in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg noch einigermaßen voneinander unterscheidbare Milieus identifiziert werden, sind die Grenzen heute fließend geworden. Die vielfältige Vielfalt bereichert uns als Gesellschaft ungemein und weist auch auf historische einmalige Freiheitsgrade hin, die wir hier genießen dürfen. Doch sie birgt auch Konfliktpotenzial, da sie Fremdheits- und Polarisierungserfahrungen produziert. In einer Gesellschaft der Differenzen unterscheiden sich Lebensstile, Weltbilder, Mentalitäten, Wertvorstellungen, Erscheinungs- und Konversationsformen erheblich. Das kann überfordern und den Rückzug in die Eigengruppe befördern.
Begegnung ist der Schlüssel
Es stellt sich also die Frage, wie in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft, sozialer Zusammenhalt trotz und mit all den Unterschieden gefördert werden? Die Antwort ist wissenschaftlich gut belegt: Positive Begegnungen über Gruppengrenzen hinweg. Allport formulierte 1954 die „Kontakthypothese“, nach der sich die Vorurteile gegenüber Menschen verringern, wenn die Interaktion positiv wahrgenommen wurde. Dafür formuliert er vier Bedingungen (kein Hierarchiegefälle, Ziele für beide Parteien, gegenseitige Kooperation, Unterstützung von Institutionen). Diese These konnte mehrfach empirisch belegt werden, wie zum Beispiel von Pettigrew und Topp (2006) mittels einer Metastudie. Was heißt das nun aber für politisch Handelnde?
Kommunales Fördern von Begegnung
Kommunen sind wegen der Nähe zu den Menschen in besonderer Weise dazu geeignet, unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen zusammenzubringen. Zudem kann sich die Identifikation mit dem gemeinsamen Wohnort zu einem verbindenden Merkmal über Gruppengrenzen hinweg entwickeln. Hier einige Ideen, wie kommunales Handeln Begegnung fördern kann:
1. Begegnungsräume schaffen
Orte mit hoher Aufenthaltsqualität und ohne Konsumzwang ziehen unterschiedliche Menschen an. Marktplätze, Parks oder Promenaden bieten sich hierfür besonders an. Aber auch gemeinsame Feste bringen Menschen zusammen. Damit unterschiedliche Menschen teilnehmen, am besten verschiedene Vereine und Gruppen schon bei der Planung miteinbeziehen, damit sie später wiederum ihre Communities mitbringen. Ohnehin eignen sich gemeinsame Tätigkeiten, bei denen das geteilte Interessen im Mittelpunkt steht und der Vielfaltsgedanke nicht unnötig dominiert. Kommunen können solche Begegnungsprojekte selbst anstoßen, fördern und darauf hinwirken, dass auf eine breite Beteiligung lokaler Gruppen und Akteure geachtet wird.
2. Vernetzung der sozialen Infrastruktur
Die örtliche soziale Infrastruktur hat ein großes Potenzial, Menschen in Kontakt zu bringen. Vereine aller Art, Verbände, Bürgerinitiativen, Polizei, Schulen, Mehrgenerationenhäuser, Kitas, gastronomische und kulturelle Einrichtungen sowie Kirchengemeinden gilt es zu vernetzen, um interessante Kooperationsmöglichkeiten zu eröffnen und örtliche Probleme ganzheitlich zu adressieren. Speziell Graswurzelbewegungen mit niedrigschwelligen Angeboten der Begegnung (Bücherschränke, Nachbarschaftsfeste etc.) sind bedarfsgerecht zu fördern. Dies kann finanziell erfolgen, aber auch durch Vernetzungsangebote für die örtliche soziale Infrastruktur.
3. Vermischung statt Segregation
Unterschiedliche Menschen sollten sich im Alltag ganz selbstverständlich begegnen. Kommunale Wohnraumpolitik kann dazu erheblich beitragen, indem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen räumlich durchmischt werden, um so alltägliche Berührungspunkte zu schaffen. Beispielsweise kann mithilfe von sozialem Wohnungsbau bezahlbarer Wohnraum auch in attraktiven Gegenden geschaffen werden. In heterogenen Nachbarschaften muss besonders darauf geachtet werden, negativen Kontakt idealerweise präventiv zu regulieren. Einerseits indem der Umgang mit Diversität eingeübt wird und andererseits, indem die Einhaltung von Regeln im öffentlichen Raum gewährleistet wird.
4. Bildungseinrichtungen
Daneben sind Bildungseinrichtungen, Kitas, Kindergarten und Schulen von besonderer Bedeutung. Zum einen, weil dort der Umgang mit Vielfalt eingeübt werden kann. Zum anderen, weil dort ebenfalls alltägliche Kontaktpunkten – auch und gerade zwischen Eltern – entstehen können. Damit das gelingt, müssen Einzugsbezirke so gestaltet werden, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen einer Einrichtung zugeteilt werden. Zweitens sollten Bildungseinrichtungen in benachteiligten Bezirken besondere Unterstützung erhalten, damit sie auch für privilegierte Gesellschaftsgruppen attraktiv sind.
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